Chinas demografische Krise und ihre Folgen
China steht vor einer gewaltigen demografischen Herausforderung. Die Geburtenzahlen sind auf einem historischen Tiefstand: 2023 wurden nur neun Millionen Kinder geboren, die niedrigste Zahl seit 1949. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es noch doppelt so viele Geburten. Diese Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen, darunter die Schließung von mehr als 20.000 Schulen und Kindergärten allein im letzten Jahr.
Während Indien inzwischen das bevölkerungsreichste Land der Welt ist, schrumpft Chinas Bevölkerung und altert rapide. Dieser Trend wirkt sich nicht nur auf die soziale Stabilität, sondern auch auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus. Präsident Xi Jinping hat die Dringlichkeit erkannt und weitreichende Maßnahmen eingeleitet, um die Geburtenrate zu steigern.
Ursachen für die sinkende Geburtenrate in China
Rückgang der Heiratsraten: In China sinkt die Zahl der Eheschließungen seit mehr als einem Jahrzehnt dramatisch. 2013 wurden fast 13,5 Millionen Ehen geschlossen, 2023 waren es nur noch 7,5 Millionen. Junge Chinesinnen und Chinesen heiraten später oder gar nicht mehr.
Wirtschaftliche Unsicherheit: Die hohen Lebenshaltungskosten – von teurem Wohnraum bis hin zu überhöhten Ausgaben für Kinderbetreuung und Bildung – schrecken viele Paare davon ab, Kinder zu bekommen. Zusätzlich belastet die hohe Jugendarbeitslosigkeit das Vertrauen in eine stabile Zukunft.
Gesellschaftlicher Druck und Rollenbilder: Viele Frauen empfinden die traditionellen Erwartungen an Ehe und Mutterschaft als abschreckend. Sie wollen Karriere machen und selbstbestimmt leben, statt sich auf das Ideal der „perfekten Familie“ einzulassen. Gleichzeitig erzeugen Eltern und Partner häufig starken Druck, was viele junge Menschen zusätzlich abschreckt.
Chinas familienpolitische Maßnahmen im Überblick
Die chinesische Regierung hat ein umfassendes Programm mit mehr als 10 konkreten Maßnahmen angekündigt, um die Geburtenrate zu steigern. Zu den wichtigsten Initiativen gehören:
- Erleichterung der Kinderbetreuung: Mehr Betreuungsangebote und steuerliche Abzüge für die Kosten von Kindern unter drei Jahren.
- Finanzielle Unterstützung: Familien sollen weniger für Wohnen, Bildung und Kindererziehung zahlen müssen. Es gibt steuerliche Vorteile und Unterstützung beim Hauskauf.
- Flexible Arbeitsmodelle: Eltern sollen von zu Hause aus arbeiten oder flexiblere Arbeitszeiten nutzen können.
- Staatliche Dating-App: Diese soll junge Menschen dabei unterstützen, einen Partner zu finden.
Die Regierung hat dafür 500 Milliarden Yuan (ca. 65 Milliarden Euro) eingeplant. Ziel ist es, eine familien- und geburtenfreundliche Gesellschaft zu schaffen.
Lokale Initiativen zur Förderung von Heiraten und Geburten
Bereits vor den landesweiten Programmen gab es regionale Ansätze zur Geburtenförderung. Einige Beispiele:
- Geldprämien für verheiratete Paare und Eltern: Paare, die ein oder mehrere Kinder bekommen, erhalten in manchen Regionen finanzielle Zuschüsse.
- Kredite für Hochzeiten und Kinder: Junge Paare können spezielle Darlehen zu günstigen Konditionen aufnehmen.
- Längere Elternzeit: Einige Provinzen bieten verlängerte Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaube an.
Kritik an lokalen Maßnahmen: Viele dieser Programme werden als unzureichend angesehen, da sie nur geringe finanzielle Anreize bieten. Kritiker betonen, dass nur die Zentralregierung über ausreichend Mittel verfügt, um das Problem nachhaltig zu lösen.
Chinas Frauen und der Wandel der Familienvorstellungen: Junge Frauen in China entscheiden sich zunehmend gegen traditionelle Rollenbilder. Sie wollen unabhängig leben, eine Karriere verfolgen und nicht ausschließlich auf Ehe und Mutterschaft reduziert werden. Selbst finanziell gut gestellte Frauen entscheiden sich oft gegen Kinder oder beschränken sich auf ein Einzelkind.
Gesellschaftlicher Druck: Familienangehörige und Partner erwarten häufig Kinder, was viele Frauen als belastend empfinden. Gleichzeitig werden Mütter laut der Denkfabrik Yuwa im Durchschnitt 17 % schlechter bezahlt als kinderlose Frauen, was zusätzliche Hürden schafft.
Wirtschaftliche und soziale Hindernisse für Familiengründungen
Neben gesellschaftlichen Faktoren belasten auch wirtschaftliche Unsicherheiten die Familienplanung:
- Hohe Kosten: Bildung, Wohnraum und Kinderbetreuung sind extrem teuer.
- Stress im Alltag: Der Druck im Job und der hohe Konkurrenzdruck führen zu einer geringeren Bereitschaft, Familien zu gründen.
- Wirtschaftliche Unsicherheiten: Die wirtschaftliche Lage und hohe Jugendarbeitslosigkeit fördern Zukunftsängste.
Ungewöhnliche Maßnahmen der chinesischen Regierung
“Anrufmarathon” zur Bevölkerungsumfrage: Im Oktober 2024 startete die Regierung eine großangelegte Telefonaktion: Zehntausende Frauen wurden in einer „Umfrage zur Bevölkerung und Familienentwicklung“ angerufen, um sie zum Kinderkriegen zu motivieren und die Gründe für das Ausbleiben von Geburten zu erfahren. Ob solche Maßnahmen wirksam sind, bleibt fraglich.
Zensur in den Medien: Um ein positives Familienbild zu fördern, hat die Regierung 700 Online-Fernsehserien gelöscht, die angeblich negative Aspekte des Familienlebens zeigten. Medien sollen verstärkt auf die Vorteile von Heirat und Kindern hinweisen.
Fazit: Kann China die Geburtenrate steigern?
Chinas Regierung steht vor einer Mammutaufgabe. Die angekündigten Maßnahmen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt unklar, ob sie ausreichen, um die demografische Krise zu lösen.
Langfristig wird es entscheidend sein, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern und gesellschaftliche Erwartungen an junge Frauen zu modernisieren. Während einige Initiativen wie Steuervergünstigungen und flexible Arbeitszeiten positive Impulse setzen könnten, werden kulturelle und wirtschaftliche Barrieren nicht so leicht zu überwinden sein.